Wir alle haben Bedürfnisse. Die einen haben wir alle gemeinsam, wie z.B. das Bedürfnis nach Verbundenheit. Ja, dies muss nicht allen gleich bewusst sein, aber als soziale Wesen, was wir Menschen nun mal sind, ist die Verbundenheit ein Grundbedürfnis. Andere Bedürfnisse sind unterschiedlich, wie z.B. Ordnung zu Hause oder wie oft wir Sex haben. Was wiederum bei allen Menschen gleich ist, ist, dass wir mit unseren Bedürfnissen gesehen und ernst genommen werden wollen. Wie stark wir tatsächlich damit gesehen werden, wirkt sich auch auf unsere sexuelle Lust aus.
Eine Situation, die ich oft in meiner Praxis höre:
Der Mann hat mehr Lust auf Paarsex als die Frau. (Ja, ist nach wie vor öfters so). Die Frau will mehr Ordnung im Haushalt und wünscht sich mehr Unterstützung durch den Mann. Nun prallen zwei Bedürfnisse aufeinander. Der Mann mit dem Bedürfnis Sex. Zur Erfüllung ist er auf die Frau angewiesen. Die Frau mit dem Bedürfnis Ordnung. Zur Erfüllung ist sie auf den Mann angewiesen. Beide haben ein Gefühl von Abhängigkeit und Ohnmacht. Die Erfüllung ihres Bedürfnisses liegt nicht allein in ihrer Hand. Das sind die oberflächlichen Bedürfnisse. Was versteckt sich nun dahinter?
Die Frau erinnert den Mann mehrfach daran, Dinge wegzuräumen, z.B. stinkende Socken. Weil ihm die Ordnung weniger wichtig ist als der Frau, vergisst er das regelmässig. Was geschieht bei ihr? Sie fühlt sich nicht ernst genommen. Ihre Bedürfnisse scheinen nicht wichtig zu sein. Auf den ersten Blick sind das Alltagskleinigkeiten, aber auf den zweiten Blick ist zu sehen, dass dies tiefe Kerben in die Bindung zwischen den Beiden schlägt. Unbewusst beeinflusst diese Diskrepanz ihre Lust auf Paarsex. Weshalb soll sie sich öffnen für den Paarsex, den sie selbst weniger wünscht als er. Wieso soll sie ihm sein Bedürfnis erfüllen, wenn er sich keine Mühe gibt und nicht mal die stinkenden Socken wegräumt? Er wiederum kommt dann sehr wahrscheinlich ins Muster rein, dass es nie genügt, was er tut und er es ihr sowieso nicht recht machen kann. Und weiter: Nur wenn er leistet, wird er geliebt. Also, nur wenn er tut, was seine Frau will, wird sein Bedürfnis nach Paarsex erfüllt. Hinzukommt die Angst vor Ablehnung, wenn er die Initiative ergreift und wieder ein "Nein zum Paarsex" von seiner Frau kommt. Ebenfalls keine gute Voraussetzung für liebevollen und achtsamen Paarsex.
Das ist ein grosses Dilemma: Eigentlich wünschen sich beide mehr Nähe, Verbundenheit und Anerkennung, erschaffen aber Leid und Distanz. Darunter verbergen sich tiefe Wunden aus der Kindheit.
Was kannst du tun, wenn du diese Geschichte aus deiner Partnerschaft kennst?
- Mach dir zuerst einmal bewusst, dass es nicht um die stinkenden Socken geht, sondern um die Gefühle darunter.
- Analysiert möglichst emotionslos, was genau geschieht (wie der Ablauf ist) und wer welchen Anteil trägt. Wichtig: Es tragen immer beide zu einem Konflikt bei.
- Dann forschst du in dir, welche Erfahrungen du als Kind gemacht hast. Was ist geschehen, wenn du von deinen Eltern mehr Nähe wolltest? Konnten sie dir diese geben? Oder waren sie abwesend (physisch oder emotional)? Wurdest du angegriffen (physisch oder emotional)? Haben sie dich und deine Bedürfnisse ignoriert? Forsche, welches Bild von Beziehung du tief in dir drin trägst. Wenn ich von einem Menschen mehr Nähe will, dann geschieht was?
Um den Schmerz über diese Tatsache auszuhalten, hast du Strategien entwickelt, um in deiner Beziehung Distanz zu schaffen. z.B. durch ein Nein zu Sex oder das Vergessen von stinkenden Socken.
Wie geht es dir, wenn du diese Zeilen liest? Kannst du damit etwas anfangen?
Ich freue mich, von dir zu hören.
Herzlich, Sandra
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